Hasenleim & Birkenpech

Hasenleim und Birkenpech. Über eine Nacht auf hartem, mit Fell gepolstertem Boden und einer (sehr) frischen Dusche berichtet Seraphin Schlager aus dem Wahlfach „Mittelalter“.

Schule einmal anders. Das Wahlfach Mittelalter ist ein Experiment. Mit einer kleinen Gruppe Interessierter tauchen wir in eine farbenfrohe Epoche der europäischen Geschichte ein, und zwar ganz ohne aktive Wissensvermittlung. Es gibt kein Geschichtsbuch, kein Blatt zum Ausfüllen, keine Vorträge – alles wird entdeckt und erlebt. Wir rühren Hasenleim an, kochen Birkenpech ein, besuchen Schlösser, tragen Rüstung und verkosten historische Rezepte.

An einem kühlen Septembermittag machen wir uns auf den Weg ins entlegene Tösstal. Ziel ist ein Felsvorsprung, unter dem wir die Nacht verbringen, draussen im urtümlich bewaldeten Quellgebiet des Flusses. Hier gibt es keine modernen sanitären Anlagen und kaum noch Empfang. Die Experimentierfreudigen der Gruppe tragen hochmittelalterliche Kleidung, auf die Schultern haben sie Wolldecken und Schaffelle für ihr Nachtlager geschnürt. Die glatten Ledersohlen drohen auf dem morastigen Boden zu rutschen, dafür schaffen die losen Beinlinge Bewegungsfreiheit im unebenen Gelände und Wolle hält den kühlen Nebel in Schach.

Am Lageplatz angekommen entzünden die Schüler geschickt mit Flint, Schlageisen und eigenhändig verkohlten Leineresten ein prächtiges Feuer – wir schmoren im Kessel ein stark mit Zimt, Ingwer und Nelken gewürztes Wildragout, dazu gibt es Kräuterknödel aus altem Brot. Die Essschalen sind aus Erle gedreht, die Becher aus gebranntem Ton, eine dicke Nagelfluhschicht filtert das Wasser aus dem Bach über uns auf Trinkqualität.

Wir verbringen einen geselligen Abend, ehe man sich zu Bett legt, ob nun im modernen Schlafsack oder einzig mit Wolldecken und Fellen gepolstert auf dem harten Boden. Doch nach einem langen Tag an der frischen Luft schlafen alle bestens, bis uns die Sonne weckt. Rasch wird auch das Feuer wieder in Gang gebracht und eine Hafergrütze aufgesetzt, nach persönlichem Geschmack mit Honig, Nüssen und Trockenfrüchten verfeinert. Nach einer eiskalten Dusche im nahegelegenen Wasserfall und einem kurzweiligen Rückmarsch zum Parkplatz treten wir die Heimfahrt an. Rauch und Schafswolle kontrastieren den neuzeitlichen Geruch im Auto und wir tragen den Hauch eines Einblickes, einer Ahnung mit uns nach Hause, wie sich das Reiseleben früher vielleicht hätte anfühlen können.

Seraphin Schlager / 13.01.25